Surviving Desire & Company

von Hal Hartley

Neulich bin ich über ein Interview mit Martin Donovan aus dem Jahre 2004 gestolpert, das meine eigene Produktionsfirma für eine Neuauflage der DVD von Surviving Desire in Australien geführt hatte. An einer Stelle bemerkt Donovan, wie unzufrieden ich nach der Fertigstellung mit dem Film war.

Ich war überrascht, das zu hören  – aber es stimmt. Ich habe damals viel und schnell gearbeitet und viele neue Ideen ausprobiert. Ich war glücklich, hatte viel zu tun, war aber immer irgendwie unsicher.

Während ich diese drei Filme von 1991 (und Opera No. 1 von 1994) restaurierte, dachte ich daran, wie weit ich mich mit Surviving Desire von den sehr aufregenden Ergebnissen von Theory of Achievement und Ambition, die nur ein paar Monate vorher produziert wurden, entfernt hatte. Bei aller Verspieltheit ist Surviving Desire zwar eine fiktive, aber dennoch recht realistische Erzählung. Die beiden vorherigen Kurzfilme waren das nicht. Ich dachte oder richtiger, ich hoffte, auch bei dem längeren Film mit derselben spielerischen Sorglosigkeit an die Plausibilität und Charakterisierung der Personen herangehen zu können. Aber er war einfach anders geschrieben. Ich brauchte eine Weile, um mir das selbst einzugestehen. Und währenddessen fragte ich mich, ob der neue Film ein Rückschritt oder ein Fehltritt sei – ein Verrat meiner Feinfühligkeit, die sich gerade so schnell entwickelte.

28 Jahre später bin ich froh, dass ich Surviving Desire in dem Rahmen ließ, in den er anscheinend gehörte. Sechzig Minuten ununterbrochenes, unmissverständliches Geschimpfe à la Ambition wären wohl zu viel gewesen. Und außerdem war ich begeistert davon, wie die Schauspieler mein Drehbuch umgesetzt haben. Martin Donovan, Mary Ward, Matt Malloy und Rebecca Nelson erinnerten mich daran, wie sehr mich die klassischen Beispiele der Farce beim Schreiben dieser Komödie beeinflusst hatten – von Molières Die gelehrten Frauen bis hin zu Folgen von I love Lucy und The Honeymooners

Theory of Achievement so zu machen, wie ich es gemacht habe, war hingegen sehr aufregend. Ende 1990 hatte ich zwei Spielfilme fertiggestellt. Der eine hatte gerade einen Preis bei einem Festival gewonnen, der andere sollte weltweit vertrieben werden. Mein Freund, der aufstrebende Producer Ted Hope, fragte mich, ob ich Lust hätte, einen Kurzfilm für 15.000 $ zu machen, die er bei irgendwelchen Sponsoren auftreiben wollte. Ich sagte ja, weil ich arbeiten wollte, und damals noch dachte, dass jeder Film mein letzter sein könnte. Daher packte ich jede Gelegenheit beim Schopf. Ich kramte ein Drehbuch heraus, das ich 1986 geschrieben hatte: Theory of Achievement.

Bei dem Original-Drehbuch ging es darum, was es bedeutet, ein schöpferisches Leben zu leben –  vor dem Hintergrund, vielleicht nie etwas zu erreichen oder zu verwirklichen, dass die Umwelt als solches erkennen würde. Ohne Frage eine ernstzunehmende Sorge bei jedem jungen Menschen, der sich nicht in erster Linie für Geld interessiert. Aber 1990 war ich meinen Zielen schon deutlich näher gekommen. Meine Theorien über das Verwirklichen und Erreichen wurden also gewissermaßen von neuen Erkenntnissen gespeist. Die meisten meiner Freunde hatten ähnliche Ziele und sollten sie in den Folgejahren auch erreichen. (Sie tauchen alle im Film auf.) Damals aber waren wir alle mehr oder weniger pleite und mussten einander andauernd gegenseitig Geld leihen. Das war eine äußerst lebendige und produktive Zeit.

      

Die beiden Spielfilme, The Unbelievable Truth und Trust waren dialog- und charakterbasierte Geschichten, die stark von den schauspielerischen Leistungen getragen wurden. Ganz gleich wie unrealistisch die Szenen an der Oberfläche aussehen mochten, wir machten jede kreative Entscheidung von ihrer naturalistischen Plausibilität abhängig. Und genau so wollte ich es. Theory und Ambition waren eher wie Propaganda, wie übertriebene Manifeste. In meinem Notizbuch bezeichnete ich die beiden bald nur noch als Manifeste.

Meine Helden konnten starrköpfig und unbelehrbar sein. Es war ja schließlich, so nahm ich jedenfalls an, alles Erfindung.

Das hatte ich von Brecht.

Obwohl ich eine Inszenierung des Kaukasischen Kreidekreises an der Uni gesehen hatte, waren meine Brecht-Kenntnisse auf die von John Willett ins Englische übertragenen gesammelten Schriften begrenzt. Auch kannte ich verschiedene Verweise auf ihn, z.B. von Jean-Luc Godard und Rainer Werner Fassbinder. Am Ende war es aber kein Werk von Brecht, das Theory of Achievement und Ambition geprägt hat, auch wenn es Brecht durchaus ähnlich ist.                                             

Peter Brooks’ Film seiner eigenen Inszenierung von Peter Weiss’ Bühnenstück Marat/Sade war so ziemlich der einzige Film, den ich zwischen 1989 und 1992 sah. Ich hatte die VHS-Kassette so oft von der Videothek ausgeliehen, dass sie sie mir letztendlich schenkten. Anscheinend wollte den Film sowieso kein anderer sehen – und da ich das Kassette ununterbrochen abspielte, war sie eh so gut wie hinüber.

Der Film und der Text des Stücks ermutigten mich in vielerlei Hinsicht. Weiss’ Stück, Brooks’ Inszenierung und die Art wie sie gefilmt wurde, inspirierten mich, philosophische Debatten als Varieté zu betrachten! Dieses Bild erschien mir damals richtig.

Opera No. 1 wurde drei Jahre später produziert, und zwar als Auftragsarbeit für einen Kabel-TV-Sender. Der Film sollte die folgenden Kriterien erfüllen: kurz, lustig, unterhaltsam, musikalisch. Für mich war das eine willkommene Gelegenheit, um zu der wilden Verspieltheit von Theory, Ambition und Surviving Desire zurückzukehren.

Kid schrieb ich 1983, und zwar während meines ersten Jahres an der State University New York. Das Drehbuch entstand unter der Mithilfe von Milena Jelinek, die zwar immer freundlich und ermutigend war, mir aber auch nahegelegte, mehr wie ein Amerikaner und weniger wie ein Europäer zu schreiben. Das war ein erfrischender Ratschlag von einer versierten Theater-Schriftstellerin, die Teil der Tschechoslowakischen Neuen Welle war. Aber sie hatte recht. Ich vermischte meine Begeisterung für jeden von Jean Vigo zu Eisenstein zu Terrence Malick und Wim Wenders mit der von John Ford und Howard Hawks.

Als ich im Herbst an die Uni zurückkehrte, fuhr ich mit der Arbeit an dem Drehbuch fort, unter der Anleitung von Aram Avakian. Adam führte mich auch in die Produktion, die Regie und ins Editing ein. Er befürchtete, dass ich die ganze Welt in eine Geschichte packen wollte, die gerade eine halbe Stunde dauerte sollte. Er erinnerte mich immer wieder daran, dass dies nicht der einzige Film sein würde, den ich im Leben machen sollte, und dass ich nicht alle großen Lebensfragen in meinem ersten Film beantworten müsse. Aber in manchen Momenten glaubte ich wirklich, Kid wäre meine einzige Chance, je einen Spielfilm zu machen. Es brauchte meine Freunde und meine Lehrer, um mich vom Gegenteil zu überzeugen.

Anderthalb Jahre nach meinem Abschluss an der Uni lebte und arbeitete ich in New York City. The Cartographer’s Girlfriend fiel mir im November 1985 regelrecht vor die Füße, und zwar in Form von acht Dosen „abgelaufener“ 16mm Farbnegative, die bei Jerry Brownstein, meinem Chef, im Kühlschrank vor sich hin gammelten. Er wies mich an, das Zeug loszuwerden – die Negative waren über zehn Jahre alt und höchstwahrscheinlich wertlos. Also nahm ich sie, schrieb etwas, das ich in meiner Wohnung und meiner unmittelbaren Nachbarschaft in Inwood, Manhattan selbst produzieren könnte. Zu Weihnachten stand der Cast, und Anfang Januar 1986 begannen wir mit den Proben.

Ich schrieb wann immer ich konnte, zwischen den Aufträgen als Produktions-Assistent für TV-Werbespots und verschiede Spielfilme. Später, als ich fest für Jerry arbeitete, regelmäßiger. Ich widmete mich gleich mehreren Spielfilm-Drehbücher – frühen Entwürfe, aus denen später Trust, Simple Men und Amateur werden sollten. Und natürlich hatte ich viele unbenutzte Ideen herumliegen, Überreste, aus denen ich ich dann diesen merkwürdigen kleinen Film gemacht habe.

Um mich zu inspirieren wandte ich mich der unmittelbaren Realität zu und nahm sie als Ausgangspunkt: Da war beispielsweise die riesige Werbetafel über dem Time Square, auf der eine Blondine mit langen Beinen nackt in einem Martini-Glas zu sehen war. Und ich musste (musste!) dieses Bild jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit betrachten. Es war wirklich beeindruckend - und sie waren überall. Wo immer ich hinsah, da waren sie: prickelnd präsentierte junge Frauen, die so weit von meinem Universum entfernt waren wie alle anderen Außerirdischen. Es war diese Art von Dingen, die mich zum Nachdenken brachte: Weiß ich überhaupt noch, wie eine echte Frau aussieht? Die Szenen zwischen dem Kartographen Bob und seinem Kollegen George waren frühe Entwürfe von Szenen, die ursprünglich für Simple Men gedacht waren.

Ich habe Monate gebraucht, um das Labor zu bezahlen und das entwickelte Material zu bekommen. Mein Kameramann Michael Spiller und ich mussten warten und schauen, ob etwas brauchbares dabei war. Das meiste davon war brauchbar. Aber einige Rollen waren einfach zu schlecht um sie zu benutzen. Ich machte was ich konnte aus dem was wir hatten und war nicht unglücklich. Obwohl der Film wahrscheinlich etwas surrealer ist, als ich im Drehbuch vorgesehen hatte.

 

Hal Hartley, New York, Mai 2019